Der Sommer ist früh in Wien angekommen und die Stadt Strauss und Schubert hat nie schöner ausgesehen. Die Parks sind voller Studenten, die sich in der Sonne sonnen. Die eleganten Cafés entlang der Ringstraße sind voll von lässigen Geschäftsleuten, die Kontakte knüpfen und Geschäfte machen. Vor hundert Jahren, als Wien über ein Reich regierte, das sich von Triest bis Siebenbürgen erstreckte, könnte man fast wieder im Habsburgerreich sein. Doch trotz seines wohlhabenden Aussehens ist hier in der österreichischen Hauptstadt nicht alles in Ordnung. Die schlechte Nachricht für die Wiener ist, dass Österreich wieder an Bedeutung gewonnen hat.

Während des Kalten Krieges, auf drei Seiten vom Eisernen Vorhang umgeben, blickte Österreich nach Westen, nicht nach Osten. Dies war jedoch immer eine historische Anomalie. Österreich bedeutet Ostreich, und Österreichs natürliches Hinterland liegt immer nach Osten, nicht nach Westen. Metternich, Österreichs größter Diplomat, pflegte zu sagen, dass der Balkan im Wiener Stadtgebiet begann. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg hat Österreich seine Ostgebiete genommen, aber obwohl sie seit einem Jahrhundert an Österreich verloren gegangen sind, ist der Balkan nun wieder da.

Nach einem halben Jahrhundert am Ende der Strecke ist Wien wieder ein Scheideweg. Die Stadt ist voller kroatischer, rumänischer und ungarischer Stimmen – allesamt Teil des Habsburgerreiches vor hundert Jahren. In den vergangenen Jahrhunderten war es immer so, aber viele Österreicher sind zutiefst ambivalent über diese historische Rückkehr zur Form. Deutschsprachige Österreicher waren immer im Aufwind. Für viele Österreicher fühlt es sich jetzt umgekehrt an.

Wien erlebt seit dem Ende des Kalten Krieges eine bemerkenswerte Renaissance. Früher fühlte es sich an wie eine Grenzstadt, eine Sackgasse am Ende einer Einbahnstraße. Nach dem Fall der Berliner Mauer fand sie eine neue Rolle. Eine politische Hauptstadt nicht mehr, sondern eine Kulturhauptstadt. Wiens alte Kavalleriekaserne wurde in einen schlanken neuen Kunstkomplex umgewandelt – eine germanische Version des Londoner South Bank, aber mit besserer Architektur und anständigem Kaffee.

Niemand außerhalb Österreichs hat der österreichischen Politik viel Aufmerksamkeit geschenkt, kein Wunder. Shorn seines alten Reiches, hier war ein Land, das nur wenige hundert Meilen breit war, mit weniger Einwohnern als der Großraum London. Nach den politischen Katastrophen des letzten Jahrhunderts schienen die Österreicher glücklich zu sein, die Köpfe unten zu halten. Die Regierung schlurfte inkonsequent zwischen Mitte links und Mitte rechts. Aufgrund des nicht eindeutigen Charakters des österreichischen Wahlsystems regierten die beiden Hauptparteien oft im Tandem, und es war oft schwierig, sie voneinander zu unterscheiden. Aber seit letztem Sommer hat sich das alles geändert.

Im vergangenen Jahr war die Österreichische Volkspartei, Österreichs natürliche Regierungspartei, die hauptsächlich aus Tory Wets bestand, im Amt, aber kaum an der Macht, in einer stagnierenden “Großen Koalition” mit den österreichischen Sozialdemokraten. An dritter Stelle in den Umfragen, mit der harten rechten Freiheitlichen Partei an erster Stelle und vor der Niederlage bei den bevorstehenden Parlamentswahlen, wählten sie Sebastian Kurz, ihren 30-jährigen Außenminister, zu ihrem neuen Vorsitzenden.

Kurz führte einen inspirierten Wahlkampf und präsentierte sich als eine Art germanisches Makron. Seine Volkspartei kam an erster Stelle, aber ohne eine allgemeine Mehrheit, was eine weitere Koalition bedeutete. Statt sich jedoch mit den Sozialdemokraten zu vereinen, schloss er ein umstrittenes Bündnis mit der rechtsextremen Freiheitlichen Partei. Das letzte Mal, im Jahr 2000, wurde Österreich auf der Weltbühne gemieden. Die EU hat sogar Sanktionen verhängt. Diesmal gab es kaum ein Rauschen. Allerdings hat die Freiheitliche Partei diesmal weit mehr Macht, einschließlich der Kontrolle des entscheidenden Innenministeriums. Hatte Kurz die Populisten gezähmt, oder hat er mit einem zu kurzen Löffel gegessen?

Zuerst schien sich das Glücksspiel von Kurz auszuzahlen. Er baute Brücken zwischen Zentristen und Populisten im In- und Ausland. Während die Kluft zwischen den östlichen und westlichen Nationen der EU größer wird, war hier ein Mann, der das Ohr von Angela Merkel und Viktor Orban hatte, ein Mann, der den westlichen zentristischen und den östlichen populistischen Standpunkt verstand. Doch jetzt hat ein wachsender Sicherheitsskandal die Ängste der Liberalen in Österreich und darüber hinaus geschürt.

Die Freiheitliche Partei wurde unter anderem von ehemaligen Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, und die österreichischen Liberalen befürchten, dass sie niemals durch die Verantwortung der Regierung normalisiert wird. Dieser Sicherheitsskandal ist ein Beispiel dafür. Der heutige Innenminister der Freiheitlichen Partei, Herbert Kickl, hat den Chef des österreichischen Geheimdienstes, Peter Gridling, suspendiert und die Polizei zur Razzia nach Hause geschickt.

Eine der Hauptaufgaben von Gridling war die Untersuchung der Aktivitäten von Rechtsextremen. Für Der Standard, Österreichs Rekordzeitung, war diese Verbindung zu eng. Sie sind nicht allein. Der österreichische Präsident Alexander Van Der Bellen nannte Kickl’extrem ungewöhnlich und beunruhigend’. Andere Politiker waren offener. Der ehemalige Bundeskanzler Christian Kern sagte, das Vertrauen in den Sicherheitsapparat sei drastisch erschüttert worden. Matthias Strolz, Vorsitzender der Liberalen Partei Österreichs, Neos, sagte, die Affäre “stinkt zum Himmel”. Mit der Freiheitlichen Partei in der Regierung, kann das Zentrum halten?

Im “Roten” Wien, immer eine Bastion linker Politik, sonnen sich die Studenten in der Sonne und die Geschäftsleute bestellen eine weitere Runde Kaffee. Doch Wien verändert sich, und Österreich auch, und es scheint keine Lösung zu geben, die sowohl den Zentristen in dieser liberalen Metropole als auch den Populisten in der konservativen Landschaft, die sie umgibt, gefällt, ganz zu schweigen von den Zentristen in Berlin und den Populisten in Budapest und Warschau. So sehr Kurz auch versuchen mag, die Kluft zu überbrücken, so weit ist sie doch.

Der Vertrag von Versailles reduzierte Österreich von einem multikulturellen Reich zu einem germanischen Hinterteil. Jetzt wird Europa und Österreich wieder multikulturell, und viele Österreicher mögen das nicht. Welche Vision von Österreich wird sich durchsetzen? Die Mitte-Rechts-Vision von Kurz oder die harte Rechts-Vision seiner neuen Partner in der Freiheitlichen Partei, einer Partei, die von Der Standard als “machthungrig und perfide” bezeichnet wird? Ist Wien 2018 überhaupt wie Wien 1918 oder 1938? Natürlich nicht. Aber in einer Stadt, die das Beste und Schlimmste der Menschheit gesehen hat, von Freud bis You-Know-Who, hat die Geschichte immer einen besonders langen Schatten geworfen.